Den Wunsch, über den vor wenigen Monaten endgültig vollzogenen Abschied vom Dreisamstadion zu schreiben, hege ich seit Geraumem. Sogar den Zeitpunkt seines Aufkommens weiß ich zu datieren. Am letzten Januartag des Jahres 2015 traf der auch in jener Saison denkbar unglücklich in den Abwärtssog geratene SC zum Rückrundenauftakt auf Eintracht Frankfurt. Der in der Winterpause zunächst leihweise aus seiner grünweißen Malaise transferierte Nils Petersen traf nach Gegnerführung, die in der Hinrunde noch unweigerlich in eine Niederlage gemündet hatte, im Zeitraum von gut zwanzig Minuten gleich dreimal hintereinander zum 4:1-Endstand. Bei jedem der zur Nordtribüne führenden Jubelläufe fiel der erste Blick auf sein Trikot. Es war nicht wie üblich mit dem Emblem des Sponsors, sondern einem breiten weißen Bruststreifen beklebt. Auf diesem prangte, flankiert von einem stilisierten Stadionumriss, der in Großbuchstaben gehaltene Schriftzug „Sag ja!“. Die unverblümt an das Publikum herangetragene Aufforderung galt der anderntags stattfindenden Abstimmung, bei der die Freiburger Bürgerschaft aufgerufen war, pro forma in die von Stadt und Verein getroffene Standortwahl einzuwilligen. In den Wochen zuvor war in mir der Entschluss gereift, den wohlbedacht sehr vage gehaltenen Neubauplänen zuzustimmen. Es lag auf der Hand, dass ein Verbleib im in die Dreisamtalenge gezwängten Altbau nicht nur der infrastrukturellen, sondern auf Dauer auch der wirtschaftlichen Anschlussfähigkeit des klammen Bundesligisten entgegenstünde. Durch den geplanten Umzug in den Westen der Stadt tat sich gedanklich entschieden mehr auf als die neu erlangte Weite der Rheintalebene: ein architektonisch ansprechendes Stadion in Holzbauweise, eine ungleich höhere Zuschauerkapazität, ein Ende des samstäglichen Verkehrskollapses - endlich.
Und dennoch stand ich inmitten der Nordtribünenränge, auf denen mit jedem von Petersens richtungsweisenden Fingerzeigen die Wogen anheimelnder Freude stärker gegen die Kältewand brandeten, und fragte mich: Warum in aller Welt ziehen wir überhaupt in Erwägung, diesen wunderbaren Bretterverschlag zu verlassen?
Der ursprünglich für Herbst 2020 angekündigte Umzug an den Flughafen geriet durch die merklich ins Stocken geratenen Bauarbeiten am Wolfswinkel einstweilen in den Hintergrund. Es schien nunmehr so, als würde die geplante Raumverlagerung medial vom unaufhörlich in die Menschenleere dröhnenden Dieselgenerator übertönt. Umso eindrücklicher ging der kurz vor Fertigstellung begangene und von Martin Spanring choreografierte Taufakt des Europa-Park Stadions vonstatten, den man geflissentlich verdrängen sollte, brächte er nicht eine gewisse Symbolhaftigkeit vorzeitig zum Ausdruck. Was sich den Zuschauern im Livestream darbot, wird nicht wenigen wie ein Menetekel angemutet haben:
Der sich im Badischen ungeteilter Sympathie erfreuende Würdenträger Günther H. Oettinger hatte sich in Rust vor den etwas rentnerbeige geratenen neurömischen Ruinenbögen der Phantasieantike aufgestellt, um dem neuen Stadion seinen Segen zu spenden. Dabei, und wer könnte es dem Brüsseler Kommissar außer Dienst verargen, ließ er die der Namengebung zukommende politische Dimension nicht unerwähnt: Durch das deutlich ausgeweitete Engagement erstarke die Zusammenarbeit des Potemkinschen Dorfs mit dem SC zu nicht weniger als einer raumwirkenden „europäischen Partnerschaft“. Neben der ebenso rasch ins überspannt Lächerliche abgeglittenen Balljonglage zu Shakiras La La La, die bei der Eröffnungsshow in Gestalt schauriger, um das Freizeitpark-Logo kreisender Kostümträume ihre genante Steigerung erfuhr, blieb das Taufalbum in Erinnerung. Die online veröffentlichten Bilder der Südtribüne zwangen auch den Fotografen angesichts der sich meterhoch auftuenden kaltgrauen Betonwand zu artistischen Verrenkungen. Eine als einzige ihrer Farbigkeit entzogene Aufnahme zeigt den jedem Parkbesucher bekannten Charlie-Chaplin-Verschnitt. Jener steht mit Tornetzfetzen behängt und betreten dreinblickend auf dem frisch verlegten Rasen des neuen Stadions. Ein kleiner Seitenhieb etwa, um aufzuzeigen, dass der Verein nun endgültig in die übergroßen, gleichwohl sanft ineinandergreifenden Räder der modernen Vermarktung geraten ist?